AIR - Artist in Residence Niederösterreich

Skulptur oder Foto?

Die deutsche Künstlerin Gabriele Engelhardt verknüpft in ihren Arbeiten Fotografie mit Bildhauerei. Für ihre Serie „Kremser Berge“ fotografierte sie Materialberge im Kremser Industriegebiet und setzte diese Fotos zu digitalen Collagen zusammen.

Skulptur oder Foto?

© APA/Richard Tanzer

Die deutsche Künstlerin Gabriele Engelhardt verknüpft in ihren Arbeiten Fotografie mit Bildhauerei. Für ihre Serie „Kremser Berge“ fotografierte sie Materialberge im Kremser Industriegebiet und setzte diese Fotos zu digitalen Collagen zusammen. Die Arbeiten sind während ihres Aufenthalts bei AIR – ARTIST IN RESIDENCE Niederösterreich entstanden und derzeit in der Kunsthalle Krems ausgestellt. 

Florian Steininger, Direktor der Kunsthalle Krems und Kurator der Ausstellung, hat sich mit der Künstlerin über ihren bildhauerischen Zugang zur Fotografie unterhalten.

Wie bist du zur Fotografie gekommen?

Ich bin in einem fotografielastigen Elternhaus groß geworden. Mein Vater war Repro-Fotograf, meine Mutter war Fotolaborantin. Ich glaube, das hat sich bei mir in die DNA eingeschrieben. Wir hatten ein eigenes Labor zu Hause, wo ich schon als Kind Bilder entwickelt habe. Der Geruch von Entwicklerchemie bedeutet für mich Heimat. 

© KMK, Foto: Winkler

Deine Berge-Bilder wirken wie sachlich-dokumentarische Fotografien, sind es aber nicht. Du arbeitest in einem digitalen Collageverfahren, indem du einzelne Fotos an-, über- und nebeneinanderreihst. Siehst du dich als Fotografin oder als Bildermacherin?

Streng wissenschaftlich gesehen ist die digitale Fotografie keine Fotografie im klassischen Sinne mehr: Per Definition braucht es dazu eine Kamera mit Film und ein chemisches Verfahren zur Herstellung der Bilder. Langläufig würde ich mich schon als Fotografin bezeichnen, jedoch arbeite ich mit den Daten, wie es Bildhauer mit Ton oder Gips machen. Ich modelliere diese Rohdaten zu Bildern. Im Grunde „taste“ ich Objekte fotografisch ab und setze hinterher die verschiedenen Schärfeebenen zusammen. Wenn ich mit einer digitalen Kamera arbeite, habe ich pro Aufnahme immer nur eine Schärfeebene im Bild. Im digitalen Prozess kreiere ich aus diesen Aufnahmen ein Bild, das von vorne bis hinten scharf ist. Dieses Aneinanderreihen der einzelnen Fragmente ist wie ein Modellieren mit Rohdaten. Das sind eigentlich Begrifflichkeiten, die aus der Bildhauerei kommen. Der/die Bildhauer:in nimmt Material weg oder gibt es hinzu und so mache ich das auch mit den Fotos. Man könnte meinen, dass meine Arbeiten dokumentarische Aufnahmen wären, so ist es aber nicht. Ich knete und schleife, modelliere hinterher noch, um eine fotografische Skulptur daraus zu machen.

Deine Bilder ahmen Landschaften nach. Ein Sandhaufen wird zum Gebirgszug, ein Salzberg zum mächtigen Gletscher, Asphaltanhäufungen zum panoramatischen Tafelberg. Ist für dich Fotografie mehr Fiktion als Dokumentation?

Sagen wir mal so: Fiktion wäre zu weit gegriffen, es ist ein Spiel mit der Realität. Ich erfinde diese Haufen nicht, es gibt sie ja tatsächlich. Ich brauche diesen Berg, zum Beispiel Sandberg, auf dieser Basis produziere ich einen digitalen Sandberg. Dieser hat zwar noch etwas mit dem Original zu tun, hat aber einen Transformationsprozess durchlaufen. Der/die Betrachter:in hat das Gefühl, das Gesehene sei real, ist es aber nicht. Die Bilder wirken wie Fotos. 

Das Collagieren hat ein paar entscheidende Vorteile: Wenn ich einen Berg mit nur einem Foto aufnehme, habe ich eine Bildmitte, eine zentralperspektivische Bildmitte. Mit dem collagierten Verfahren habe ich am Ende eine Vereinigung von hunderten von zentralperspektivischen Fragmenten. Das erzeugt an allen Stellen des Bildes das Gefühl, es wäre dort die Bildmitte. Schon in der Renaissance gab es dieses Verfahren in der Malerei. Hier geht es um die Verbindung von Bildhauerei und Fotografie und den Versuch, auf einer zweidimensionalen Ebene Plastizität herzustellen. Das bestechende an den Arbeiten, die hier in der Kunsthalle zu sehen sind, ist, dass sie wie Skulpturen wirken, die total präsent sind, sie wirken hyperreal und erhaben.

© KMK, Foto: Winkler

Schrottberge zeugen von Schmutz und Abfall. Altmetall, gestanzt, gepresst, gequetscht, wird im großen Stil abgelagert. Deine Bilder der Kremser Berge – also der Anhäufungen dieser rohen abgesonderten Materialien - sind allerdings höchst ästhetisch. Betrachtest du deine Kunst als eine Umwandlung der Realität in etwas Künstliches?

Zumindest ist es das Endprodukt, nie aber meine Absicht. Die Rohstoffe, egal was es ist, interessieren mich aus Sicht einer Bildhauerin. Diese arbeitet mit Material. Was ich da vor mir habe, ist Material. Dieses Material transformiere ich auf einer fotografischen Ebene. Nicht mit dem Gedanken, etwas Schönes daraus zu machen, sondern das Objekt in all seinen Details zu zeigen, das Material lesbar zu machen. Ich schau mir meine Berge an und finde im Detail Hinweise auf unsere Zivilisation. Der Große Schrottberg in der Ausstellung – da ist alles drin: vom Wäscheständer, über Auto bis Fahrrad und Zug. Was für ein Irrsinn: Wir werden alle auch einmal auf so einem Haufen enden, es ist das Ende des Gebrauchs. Da ist unser ganzes Leben drinnen. Diese Haufen sind Zeugnis unseres Lebens, alles, was wir wegschmeißen, landet auf so einem Haufen.

Claude Monet hat serielle Heuhaufen in unterschiedlichen Lichtstimmungen malerisch umgesetzt. Du arbeitest auch stets in Serien, statt Heuhaufen aber mit Schrotthaufen. Siehst du hier eine Verbindung?

Ich finde diesen Vergleich super. Monet hatte wohl ein ähnliches Problem wie ich. Er wollte unterschiedliche Lichtstimmungen einfangen. Um diesen Eindruck so realitätsnah wie möglich hinzubekommen und das Licht richtig darzustellen, musste er sich ziemlich beeilen. In meinem Fall ist das Licht inzwischen ein willkommener Störfaktor. Ich brauche zum Fotografieren eines Motivs mehrere Stunden. In dieser Zeit ändern sich naturgemäß die Lichtverhältnisse. Bei meinem Großen Ringeberg zum Beispiel merkt man, dass der Berg auf der rechten Seite dunkel ist und auf der linken hell. Man sieht Licht an Stellen, an denen eigentlich keines sein dürfte. Das rührt von den unterschiedlichen Lichtstimmungen. Aufmerksame Betrachter:innen bemerken manchmal, dass hier etwas nicht stimmt, bzw. nicht real sein kann. 

Du hast 2022 zwei Monate in Kremes im Rahmen von AIR – ARTIST IN RESIDENCE Niederösterreich verbracht. Im Industriegebiet im Hafenareal bist du dann auf deine Kremser Berge gestoßen. Ein Zufall?

Nein, das war ganz hartes Kalkül. Ich habe mir gezielt einen Stipendienort gesucht, an dem es einen Hafen gibt. Es gibt nicht viele Orte, wo ich solche Möglichkeiten gehabt hätte, Krems war einfach perfekt, es sollte mein Ort werden. 

© KMK, Foto: Winkler