Zwischen Engel und Monster
Interview mit Julia BelovaZwischen Engel und Monster
Interview mit Julia Belova
Julia Belovas Arbeiten bewegen sich an der Schnittstelle von Spiritualität und Körperlichkeit, von Tradition und Bruch. In „Monstrum Sacrum“ verschmelzen orthodoxe und katholische Symbolik mit einer ungewöhnlichen Materialwahl, die Transparenz und Glanz in den Vordergrund rückt. Dabei bleibt offen, ob das titelgebende Monster Bedrohung oder Schutz, Fremdes oder Vertrautes ist. Belova lotet die Grenzen zwischen Macht und Verletzlichkeit, zwischen sichtbarer Form und verborgener Bedeutung aus – und zeigt, wie barocke Opulenz durch queere Perspektiven neu gelesen werden kann. Im Interview mit Kurator Andreas Hoffer erzählt sie von diesen Kontrasten.
Wofür steht dein „Monstrum Sacrum“? Ist es das „innere Monster“ in uns oder eine feindliche Macht?
Sowohl als auch. Das Monster ist für mich faszinierend durch seine Vielschichtigkeit. Es ist zugleich die Verkörperung des Fremden, das durch seine Andersartigkeit Angst einflößt, aber auch nach Akzeptanz sucht und dem ein tiefes Gefühl der Einsamkeit innewohnt. Gleichzeitig kann es etwas Dämonisches darstellen – ein verzerrtes Bild von Macht und Stärke, die eigentlich dem Guten dienen sollte, aber stattdessen zerstörerische Kräfte entfesseln.
Die Kirche ist ein Symbol für Zuhause, für Zuflucht – und doch lauert in ihr ein gefährliches Monster. Man weiß nicht, ob es auf deiner Seite steht oder nicht. Diese kollektiven inneren Zustände der Angst und Unsicherheit begleiten auch die aktuelle weltpolitische Lage.
Mir ist wichtig, dass jede:r für sich selbst herausfindet, welche Emotionen das Monster auslöst: Angst, Abneigung, Sympathie – oder vielleicht sogar Empathie? Schließlich ist die Kirche ursprünglich ein Ort der Reflexion, an dem man ein persönliches Verhältnis zum Unbegreiflichen entwickeln kann.
Welche Rolle spielt die orthodoxe Kirche für dich und deine Arbeit?
Ich habe gemischte Gefühle gegenüber der Orthodoxie. Einerseits ist die orthodoxe Religion für mich ein Teil der Mentalität, die ich geerbt habe – eine starke Verbindung zu meiner Herkunftskultur. Andererseits übt sie auf mich auch Kritik aus, aufgrund ihrer absoluten patriarchalen Struktur und der Art und Weise, wie sie vom Staat für politische Zwecke instrumentalisiert wird.
In diesem Projekt habe ich orthodoxe und katholische Engelsymbolik verwendet, um eine Art Brücke zwischen zwei unterschiedlichen Welten zu schlagen – eine Brücke, die in gewissem Sinne auch mich selbst repräsentiert, da ich in mir das mentale Erbe zweier verschiedener Kulturen vereine.
Was fasziniert dich an der Opulenz des Barocks und welche Bedeutung hat das Queersein für deine Kunst?
Ich nenne meine Praxis „queering Barock“. Das Barock selbst ist patriarchal und hierarchisch geprägt. Ich denke die Körperlichkeit des Barocks neu, indem ich Geschlechtergrenzen auflöse und androgyn wirkende Wesen erschaffe – oft verstärke und betone ich auch die weibliche Körperlichkeit in der barocken Formensprache und hole sie damit aus ihrer Nebenrolle in eine zentrale Position.
Darüber hinaus interessiert mich die Auseinandersetzung mit queerer Sexualität durch die Linse des Barocks – insbesondere im Hinblick auf dessen historische Heterosexualität, die, beabsichtigt oder nicht, schon damals nicht immer überzeugend wirkte. In Wien kann man zahlreiche solcher Skulpturen finden.
Dieser Zugang ist sehr bedeutend für mich, da ich selbst eine queere Person bin und meine Herkunft, in der Homosexualität historisch ein Tabuthema war. Dies weckte in mir den Wunsch, mich mit diesem Thema intensiver auseinanderzusetzen und es zu erforschen.
Was ist das Neue an „Monstrum Sacrum“? Wodurch unterscheidet es sich von deinen bisherigen Arbeiten?
Ich verwende für mich neue Hauptmaterialien. Bislang nutzte ich für größere Arbeiten Metall nur für die inneren Konstruktionen und arbeitete mit Textilien darüber. Bei „Monstrum Sacrum“ setzte ich transparentes Silikon ein und schaffe offene Bereiche, um das Metall möglichst sichtbar zu machen.
Ich habe schon mit Stahl gearbeitet, aber noch nicht in diesem Ausmaß und mit Aluminiumelementen. Mir gefällt der silbrige Glanz des Aluminiums und wie gut es sich durch seine Weichheit bearbeiten lässt.
Eine große Herausforderung war für mich das Silikon. Es war anfangs sehr beängstigend, mich diesem Material zu nähern. Die Beratung mit einer Spezialistin für solche Materialien, Katerina Sokolovskaya, meiner Kollegin, hat mir sehr geholfen.
Neu an dieser Skulptur ist auch der Einsatz von Latex – damit habe ich vorher ebenfalls noch nicht gearbeitet.
Ich habe Materialien gewählt, die möglichst unterschiedlich sind und einen Effekt von nassem Glanz und den Anschein verschiedener Flüssigkeiten erzeugen, um die Wirkung und Zweideutigkeit des Monsters zu verstärken.
Es war mir insgesamt sehr wichtig, meine Komfortzone zu verlassen und so viel Neues wie möglich auszuprobieren, um die Arbeit mit dem Raum neu zu bewerten. Alle Materialien wurden bewusst in Bezug auf Farben und Texturen der Kirche ausgewählt – sowohl zur Unterstützung als auch um einen Kontrast zu setzen.