Wie lassen sich Farbtexturen mit den Augen „ertasten“? Ist die Oberfläche des Bildes tatsächlich rau – oder täuscht sie nur? Diese Ausstellung widmet sich der sinnlichen Erfahrung von Bildern, ganz ohne körperlichen Kontakt. Die Werke beeindrucken nicht nur durch ihre visuelle Präsenz, sondern auch durch die Art und Weise, wie ihre Materialien die Vorstellungskraft anregen. Sie eröffnen eine neue Dimension der Wahrnehmung, in der es nicht allein ums Sehen geht, sondern auch um das gedankliche Erforschen der Werkstoffe und Technik.
Erweiterung des Gemäldes durch alltägliches Material
Im 20. Jahrhundert erlebt die Kunst eine signifikante Veränderung: Künstler:innen greifen zunehmend auf alltägliche Materialien zurück. Neben kostbarer Ölfarbe, Blattgold oder Fresko finden Textilien, Pappmaschee, Holzstücke oder Latex Eingang in die künstlerische Praxis. Das Wertvolle, Auratische und Dauerhafte – lange zentrale Qualitäten der Kunst – geraten ins Wanken. Diese Entwicklung führt zu einer grundlegenden Neubewertung der Materialität und zur Erweiterung des klassischen Tafelbildes.
Transformationen kunstfremder Materialien
Adolf Frohner experimentiert früh mit collageartigen Bilderweiterungen und entwickelt daraus seine „Materialbilder“. Das im Forum Frohner ausgestellte Werk aus dem Jahr 1960 trägt diesen Titel bewusst.
Rudolf Polansky treibt dieses Verfahren ins Extrem. Seit den 1990er-Jahren verwendet er bevorzugt Industriematerialien: Plexi- und Acrylglas, Aluminium, Spiegelfolie oder Karton. Er entzieht ihnen ihre ursprüngliche Zweckgebundenheit und fügt sie mit Kunstharz, Silikon, Draht, Farbe oder Pigmenten zu neuen Strukturen und Assemblagen zusammen. Es entstehen Oberflächen von glänzend über matt bis spiegelnd, mit komplexen Texturen und Effekten. Seine zentrale Werkgruppe „Reconstructions“ eröffnet ein visuelles Feld, das die Betrachter:innen einlädt, in die Materialität einzutauchen, ihre Spuren und Oberflächen zu erkunden und über Raum, Funktionalität und Bedeutung nachzudenken.
Jakob Gasteiger nutzt Farbe als plastisches, skulpturales Material. Mit einer Kammspachtel trägt er sie dick auf die Leinwand auf. Farbe selbst wird zum Raum, zur Oberfläche, zum Objekt. Die reliefartigen Strukturen lassen sich mit den Augen „erfühlen“.
Experimentelle Fotografie
Max Boehme verbindet Fotografie und Malerei mit seinem Interesse an Körperlichkeit, Existenz und Materialität In der Ausstellung ist eine Arbeit zu sehen, bei der er ein Foto seines Gesichts mit Latex überzieht. Wolfgang Raffesberg wiederum bettet seine Fotografien auf Samt – eine subtile Verschmelzung von Bild und Stofflichkeit.
Illusion oder Wirklichkeit?
Rudolf Goessl spielt mit der Illusion von Raum und Tiefe. Die Gemälde seiner Serie „Faltungen“ aus den frühen 1970er-Jahren erwecken den Eindruck, die Leinwand sei gefaltet. Diesen Effekt erzielt Goessl durch feine Lasuren und subtile Hell-Dunkel-Abstufungen. Die visuelle Suggestion erzeugt eine Spannung zwischen Fläche und Raum und führt weg vom figürlichen Ansatz hin zu einer Atmosphäre von Stille, Dichte und meditativer Abstraktion.
Staunen lassen auch die Arbeiten von Bettina Beranek mit dem Titel „reality check“. Die Künstlerin setzt sich intensiv mit visueller Wahrnehmung und deren Dekonstruktion auseinander. Ihre hyperrealistischen Bilder zeigen banale Atelier-Situationen: ein eingerissenes Stück Papier, Klebebänder oder Keilrahmenleisten. Der Begriff „Reality Check“ stammt aus der Technik des luziden Träumens, bei der überprüft wird, ob man sich in der Realität oder in einem Traum befindet. Beranek überträgt diese Idee in die Malerei und lädt die Betrachter:innen ein, ihre eigene Wahrnehmung zu hinterfragen.
Berühren leider nicht erlaubt!
Die Ausstellung präsentiert eine feine Auswahl an Werken, deren Materialkombination den Wunsch weckt, sie zu berühren – doch genau das bleibt im Museum verboten. Die Künstler:innen spielen mit der Wirkung von Oberfläche und Illusion. Sie erweitern das traditionelle Tafelbild und die Fotografie durch unterschiedliche Werkstoffe oder hyperrealistische Täuschung. Im Unterschied zur Frühlingsausstellung im Forum Frohner dürfen die Kunstwerke in dieser Schau nicht berührt werden.
Warum dürfen Objekte im Museum nicht berührt werden?
Museen und Ausstellungshäuser bewahren Kunst und Kulturgüter, erforschen ihre Bedeutung und machen sie für alle zugänglich. Jede Berührung von Gemälden, Dokumenten, Fotos, Objekten etc. kann durch Fingerabdrücke, Feuchtigkeit oder Abrieb Schäden verursachen. Das „Nicht-Berühren“ ist eine Maßnahme, wertvolle, empfindliche und historisch bedeutende Objekte für kommende Generationen zu sichern.
Künstler:innen: Bettina Beranek, Max Boehme, Adolf Frohner, Jakob Gasteiger, Rudolf Goessl, Rudolf Polansky, Wolfgang Raffesberg
Kuratorin: Elisabeth Voggeneder