Die Abstraktion gilt in der Moderne als eine der signifikanten formalen Artikulationen. Insbesondere ist sie mit der Malerei aufs engste verbunden. Nach raschen konsequenten Analysen des Mediums bis zum Nullpunkt – von Kasimir Malewitsch und Alexander Rodtschenko im Suprematismus und Konstruktivismus in der Avantgarde der 1910er-Jahre – folgte ein stetiges Aufkeimen der ungegenständlichen Malerei, wie vor allem im US-Abstrakten Expressionismus, dem europäischen Informel und der Minimal Art. In der nachmodernen Abstraktion der 1960er-Jahre tritt ein Skeptizismus gegenüber der Malerei und der originären schöpferischen Autorschaft auf, die zuweilen wieder in der postmodernen Phase ab den 1980er-Jahren mit Sinnlichkeit und Intuition widerlegt wurden.
Abstract Painting Now! – Aktuelle Positionen in der Abstraktion
Die Ausstellung „Abstract Painting Now!“ mit etwa 50 künstlerischen Positionen setzt nun ihren Fokus auf die aktuelle internationale Situation des ungegenständlichen Tafelbildes und fächert ein lebendiges und facettenreiches Feld der malerischen Praxis auf. Historische Basis der Schau ist die post abstrakt expressionistische Entwicklung, die vor allem von Gerhard Richter und Sigmar Polke getragen werden. Richter wendet sich nach einer Periode der Agonie, in der seine grauen Vermalungen entstehen, dem Schönen, scheinbar Expressiven und der Farbexplosion auf dem Tafelbild zu. Polke setzt Abstraktion als ironische Paraphrase ein und dekonstruiert somit die energetisch wahrhaftige Kraft des Pinselstrichs als Markierung des künstlerischen Ichs.
Neue Konzepte und Techniken
Dekonstruktion, Aufgabe der Autorschaft, Mix, Hybris, Zitat und Ornament sind einige der wesentlichen Parameter in der aktuellen Abstraktion, wenn etwa Christopher Wool seine Handschrift durch motorisches Verwischen in Frage stellt, oder Wade Guyton seine minimalistischen Streifenbilder mittels Ink Jet Printer malen lässt. Polke ist der Alchimist unter den Malern; er gewährt dem Medium seinen Freiraum sich selbst auf der Leinwand zu entfalten. Katharine Grosse tauscht den klassischen Pinsel mit der Airbrush-Pistole ein und kreiert Colour Fields mit irisierender Leuchtkraft. In der modernen Malerei galt das Ornament als Verbrechen, als nutzlose Schlacke für die autonome Kunst. In der stilpluralistischen Postmoderne findet es in der Abstraktion wieder ihren Platz: Philipp Taaffe verschneidet formale Gestaltungsprinzipien der abstrakten Avantgarden mit floral dekorativen Elementen. Dieser erweiterte Abstraktionsbegriff schließt ebenso Natur und Landschaft als neoromantisch-expressive Farbfelder – von Per Kirkeby bis Herbert Brandl – ein. Konstruktiv Geometrisches paart sich mit malerischer Atmosphäre bei Sean Scully, als eine Symbiose aus Ratio und Emotion. Spiritualität und geometrische Abstraktion in Gefolgschaft von Malewitsch und Barnett Newman sind bei Helmut Federle essenzielle Kriterien. Bei Brice Marden und Lee Ufan speichert der Pinselstrich als Zeichen des meditativen Akts das Geistige in der Kunst. Diese Ernsthaftigkeit und Konzentration auf Geist und Bild ist auch bei Günter Umberg, Marcia Hafif und Josef Marioni in ihren monochromen Gemälden anzutreffen.
Erweiterte Abstraktion und österreichische Einflüsse
Ebenso haben sich in Österreich Tendenzen der neuen Abstraktion entwickelt, die ein selbstverständliches größeres Ganzes mit den internationalen Positionen bilden: konzeptuelle neugeometrische Strömungen von Gerwald Rockenschaub, Heimo Zobernig, Walter Obholzer und Ernst Caramelle sowie Farbfeldmalereien von Hubert Scheibl, Herbert Brandl, Erwin Bohatsch und Walter Vopava ab den 1980er-Jahren. Darauf folgen in der Ausstellung jüngere Generationen, die das Projekt Abstraktion bis heute in großer Bandbreite fortsetzen.
Kurator: Florian Steininger